"Einheit im Glauben heißt,
gemeinsam an einem Strang zu ziehen für das Reich Gottes."
Unter diesem Leitspruch fand am Sonntag, den 19. Februar 2012, in der Pfarrkirche in Graun die offizielle rechtliche Errichtung der "Seelsorgeeinheit Graun im Vinschgau" statt. Viele Gläubige aus allen vier Pfarreien waren der Einladung unseres Pfarrers Siegfried Pfitscher gefolgt. Im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes mit Chor, Orgel und großer Ministrantenschar überreichte Mag. Eugen Runggaldier, der Leiter des Seelsorgeamtes, das Ernennungsdekret unseres Bischofs Dr. Ivo Muser vom 01.01.2012. Im Anschluss an die kirchliche Feier waren alle Anwesenden zu einem gemeinsamen Umtrunk im alten Gemeindehaus von Graun eingeladen.
Karola Kuenrath Noggler, Vorsitzende des Pfarreienrates, verwies in ihrer Begrüßungs-Ansprache auf die Veränderungen, die auf unsere Pfarreien zukommen werden und die wir am besten gemeinsam bewältigen können:
"Im Namen des Pfarreienrates begrüße ich alle recht herzlich. Besonders begrüße ich Herrn Mag. Eugen Runggaldier, den Leiter des Seelsorgeamtes. Er ist heute zu uns gekommen um unsere Pfarreien Graun, Reschen, St. Valentin und Langtaufers, als Seelsorgeeinheit offiziell rechtlich zu errichten und diesen Gottesdienst mit uns zu feiern.
Unsere Kirche steht vor einem Wandel, daher bitten wir heute besonders für eine gute Zukunft der Kirche und um eine gute Entwicklung unserer zukünftigen Seelsorgeeinheit. Eine solche Veränderung von gefestigten Strukturen ruft oft Vorbehalte hervor. Sie trifft die Menschen ja ganz direkt und verändert ihre religiösen Gewohnheiten. Ihnen wird abverlangt, Vertrautes zurückzustellen und auf Unbekanntes zu vertrauen. Eine Veränderung sollte aber nicht zu sehr als Verlust sondern auch als Chance gesehen werden, die das Neue mit sich bringt.
Es lohnt sich, Ideen und Erfahrungen, Kräfte und Mittel zu bündeln und es bringt für alle etwas, über die eigene Kirchturmspitze hinauszusehen. Als Pfarrgemeinde werden wir gemeinsam mit unseren Nachbarn neue Wege gehen. Mögen diese Wege unsere Pfarreien zusammenführen und die Möglichkeit in sich tragen, den Glauben als Einheit, von einer neuen, positiven Seite kennen zu lernen."
Der Pfarreienrat der Seelsorgeeinheit Graun (es fehlt Thoma Renate)
Foto: Notburga Pardatscher
In seiner Predigt verwies Mag. Eugen Runggaldier, der Leiter des Seelsorgeamtes, darauf, dass es die Grauner und Reschener bereits zur Zeit der Seestauung geschafft haben, trotz großer Umwälzungen und widriger Umstände "etwas Neues zu bauen, in dem das Alte weiterleben konnte". Die Predigt im Wortlaut:
Liebe Gläubigen!
„Sonntag, 9. Juli 1950, letzter Gottesdienst. Anstelle der Seitenaltäre gähnte die Leere der verputzten Mauer. Die Orgel war bereits entfernt worden. Herzergreifend waren die Abschiedsworte des Pfarrers von der Kanzel. Viele Leute haben geweint. Am Nachmittag wurde das Allerheiligste nach dem St. Anna Kirchlein auf dem Hügel über dem sterbenden Dörflein übertragen. Sonntag, 16. Juli, 8 Uhr abends, läuten die Glocken ein letztes Mal zum Abschied von ihrem alten Graun. Gemeinsam läuten sie eine halbe Stunde, und dann fünf Minuten lang die Große. Dieser letzte Gruß der Glocken wird jedem Grauner unvergesslich bleiben.“
So schrieb 1988 das Antoniusblatt vom Untergang von Altgraun im Jahr 1950, bei dem auch Teile von Reschen im großen Stausee versanken. Der aus dem 14. Jahrhunder stammende Kirchturm von St. Peter, der heute aus dem See ragt, ist das einzige, was vom ehemaligen Graun noch erhalten geblieben ist. Er steht als Erinnerung an das Vergehen von damals, bei dem 1.000 Menschen in Graun und Reschen Hab und Gut verloren.
Aber der Turm erinnert nicht nur an Unrecht, Zerstörung, Untergang, sondern auch an den Willen zu überleben, neu anzufangen, wieder aufzubauen. Denn immerhin ein Viertel der Grauner entschied sich damals hier zu bleiben und neu anzufangen. Es hat sich gelohnt, wie wir sehen.
Ich habe bewusst an die Katastrophe von 1950 erinnert und an die Zeit danach. Denn dieses Ereignis zeigt, wie es Menschen gelungen ist – mit großen Schwierigkeiten, aber zähem Ringen – nicht aufzugeben, trotz der schwierigen Umstände. Es ist den Menschen von damals gelungen etwas Neues zu bauen, in dem das Alte weiterleben konnte.
Widrige Umstände stehen uns auch kirchlich bevor. Die Zahl der Priester sinkt rapide; die Erwachsenen wissen von ihrem Glauben manchmal weniger als ihre Kinder; die Weitergabe des Glaubens ist keine Selbstverständlichkeit mehr; Taufe und Getauftsein sind für manche nur mehr ein formale Akte, die weiter nichts mit einem Leben in der Nachfolge Jesu zu tun haben; die Kirche ist für einige zu einer Servicestelle für religiöse Riten geworden, die man ganz unverbindlich bestellen kann. Und ich füge hinzu, dass dies erst der Beginn ist und nicht das Ende eines gewaltigen Umbruchs. Diese und viele andere Umstände sind Vorzeichen radikaler Einbrüche und Veränderungen in der Kirche. Wie Kirche morgen sein wird, können sich wenige vorstellen, aber wir können sicher sagen, dass sie wohl ganz anders sein wird.
Es ist selbstverständlich, dass diese Aussichten verunsichern und ratlos machen. Einige klammern sich deswegen verzweifelt an das, was früher war und möchten z.B. die Liturgie wieder im alten und auch lateinischen Ritus haben. Sie hoffen, dass dann alles wieder gut wird, so wie früher. Aber das ist eine Illusion und hilft nicht wirklich.
Was ist also zu tun?
Wir können von den alten Reschenern und Graunern lernen: weitermachen, neu bauen, damit Glaube und Kirchesein Zukunft haben. Denn das, wofür Kirche bisher gestanden ist, gilt es zu erhalten. Auch die heutige und die nächste Generation braucht die Botschaft, dass Gott die Menschen liebt; dass in Jesus von Nazaret uns Gott auf einmalige Weise nahe gekommen ist; dass dieser Jesus von Nazaret auferstanden ist und lebt; dass Gottes Geist auch heute wirkt; dass alle Menschen dieselbe Würde haben; dass Lieben und Geliebtwerden unserem Sein und Handeln einen tiefen Sinn gibt; dass wir an ein Leben nach dem Tod glauben dürfen. All das, ich nenne es das „Alte“, gilt es zu retten. So wie das alte Graun im neuen weiterlebt, so gilt es dieses „Alte“, das Kirche ausmacht, in neuen Formen zu bewahren und lebendig zu erhalten.
Zu diesem Neuen, das gebaut wird, damit das „Alte“ weiter Bestand hat, gehört die Seelsorgeeinheit. Sie ist nichts anderes als die feste Absicht, sich gemeinsam den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen, aus der Überzeugung heraus, dass die Vernetzung mehrerer Pfarreien den einzelnen Pfarrgemeinden hilft, Kirche vor Ort erhalten zu können. Doch der Bau dieses neuen Hauses „Seelsorgeeiheit“ steht erst am Anfang und es wird noch mit großer Skepsis und Vorsicht daran gebaut. Bildlich gesprochen würde ich sagen, dass es von diesem Neubau vielleicht nur erste Pläne gibt, dass erst überlegt wurde wo und wie zu bauen ist. Heute wird der Grundstein gelegt. Möge euch dieses Fest darin bestärken, mit Zuversicht, Freude, Kreativität und vielen neuen Ideen an diesem Haus, der Seelsorgeeinheit, zu bauen. Ich wünsche mir und vor allem Ihnen, dass Sie es – so wie Ihre Ahnen – schaffen, Neues zu bauen, in dem das „Alte“ weiterleben kann. So wird Kirche weiter Heimat bieten und der Glaube Orientierung geben.
Die erste Lesung des heutigen Sonntags kann Sie darin bestärken. Den zentralen Satz möchte ich wiederholen: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten. Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43,18)
Kaum zu glauben, dass dieser Satz vor 2.570 Jahren geschrieben wurde. Anscheinend hatten Menschen immer schon Angst vor Neuem, anscheinend haben Menschen immer schon lieber zurück geblickt, als nach vorne.
Aber die Uhr kann nicht zurück gedreht werden, sie geht weiter. Das Schwelgen in alten Erinnerungen hilft nicht weiter. Es gilt nach vorne zu blicken und zu sehen, welche Hilfen Gott schenkt, damit wir mit Zuversicht in die Zukunft gehen können. Und Gott schenkt so wie zur Zeit des Propheten Jesaja auch unserer Zeit wahrlich Neues: Familien, die miteinander beten; Jugendliche, die nach Taizé und zu Weltjugendtagen fahren; Frauen und Männer, die sich zu Leiterinnen und Leiter von Wort-Gottes-Feiern oder Katecheten ausbilden lassen; Ehrenamtliche, die in der Hospizarbeit tätig sind; Menschen, die Theologie studieren; junge Leute, die sich für die Entwicklungszusammenarbeit einsetzen; …
Liebe Gläubigen!
„Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten. Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“
Diese Worte des Propheten Jesaja, aber auch das wunderbare Beispiel Ihrer Vorfahren in Graun und Reschen, die Neues gebaut haben, um das Alte am Leben zu erhalten, mögen für Sie Motivation und Grund genug sein, mit Freude und Zuversicht, Neues zu bauen. Gewiss hat die Bildung einer Seelsorgeeinheit auch Nachteile. Aber da wir zurzeit diesen Weg als den gangbarsten erachten, hilft es nicht zu nörgeln und zu kritisieren, sondern nach vorne zu blicken, Gottes Wirken im Heute zu sehen, um mit Gottvertrauen Kirche von morgen zu bauen. Fangt damit an: heute. Amen
(Wir bedanken uns bei Mag. Eugen Runggaldier für die zur Verfügung gestellte Predigt.)
Mag. Eugen Runggaldier (links) und Pfarrer Siegfried Pfitscher (rechts)
Foto: Notburga Pardatscher
Gebet für unsere Pfarrgemeinden
Herr Jesus Christus,
du bist das Haupt der Kirche,
du bist das Haupt unserer Pfarrgemeinden.
Sei bei uns, Herr, auf diesem neuen Weg.
Geh mit uns, Schritt für Schritt.
Gib uns füreinander den Blick der Liebe,
das rechte Wort, die helfende Tat.
Führe und stärke unser Miteinander in unserer Seelsorgeeinheit.
Hilf uns, einander zu geben, was jeder nötig hat.
Zeige du uns, wie wir die Pfarrgemeinde des anderen lieben können wie die eigene
und lass unter uns ein Netz von Beziehung und Freundschaften wachsen.
Halte uns zusammen mit Maria und den Patronen unserer Pfarreien
und ermutige und stärke uns,
damit wir uns den täglichen Aufgaben achtsam und verantwortungsvoll stellen.
- AMEN -
19.02.2012 - Rechtliche Errichtung der Seelsorgeeinheit Graun im Vinschgau
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